Serie der Badischen Zeitung zum Thema „traditionelles Handwerk“
Wir sind mit dabei.
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Viele Handwerksberufe sind bereits verschwunden – einige wenige jedoch bleiben dem Markt erhalten. Dieses letztendlich durch das Erkennen oder auch Erschaffen einer Nische. Die Badische Zeitung stellt Handwerker vor die genau Ihre Nische gefunden haben und darin überleben.
Marcher Modistin arbeitete beim Hoflieferanten der Queen
Obsttörtchen für das Haupt: Die Modistin Antje Heitzler aus dem Freiburger West-End arbeitete einst beim Hoflieferanten der Queen – jetzt stellt sie in Südbaden Hüte her.
Antje Heitzler muss flexibel sein und auf Zufälle hoffen, um die Werkzeuge für ihr Handwerk heute noch zu finden. „Riefenstein hieß eine Herstellerfirma, die gibt es nicht mehr. Einige Formen habe ich in Polen gefunden oder auf Flohmärkten.“
Vor ihr liegen etwa 20 unterschiedlich geformte Holzmodelle, die zu Zeiten anstatt Köpfe herhalten müssen. Dann stülpt ihnen die Modistin sogenannte Stumpen aus Filz, Stoff oder Stroh über, die mit Hilfe von heißem Dampf und Wasser langsam Form annehmen und sich zu tragbaren Hüten verändern, wie sie eine Etage höher über dem Atelier zu sehen sind. Im Showroom liegt fein säuberlich drapiert eine Auswahl ihrer umfangreichen Fabrikation, die die Hutmacherin aus March-Neuershausen für ihre Kunden gefertigt hat: Hutmodelle der 1920er-Jahre, sogenannte Topfglocken, dann kleine, schmückende Fascinators, die aussehen wie leckere Obsttörtchen mit großen Schleifen.
Alltagshüte aus Filz, Stoff und Stroh sind dort ebenso zu sehen wie extravagante Modelle, die sich Damen etwa zu den Pferderennen in Ascot oder Baden-Baden auf die Köpfe setzen. Daneben befinden sich die Frisur betonende Hüte, wie sie die Frauen zu engen Kostümen in den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts trugen. Antje Heitzler nennt sich selbst eine Hutmacherin, wobei „Hut-“ oder „Mützenmacher“ strenggenommen nur das Fertigen von Männerhüten meint. Was sie auch tut. Besser aber stünde ihr der Begriff „Putzmacherin“, wie die Hersteller von Kopfbedeckungen für Frauen früher genannt wurden.
Berufsstand kämpft mit drohender Bedeutungslosigkeit
Früher meint vor 1966. Denn in jenem Jahr wurde die zwar hübsch klingende, aber auch antiquierte Bezeichnung von der des moderner anmutenden „Modisten“ abgelöst. Ein Berufsstand, den Frauen zahlenmäßig dominieren und in dem Männer nur in homöopathischen Dosen vorkommen. Doch der Berufsstand des „Hüte-Machens“ kämpft nicht nur mit Begrifflichkeiten oder Zahlenungleichgewichten zwischen Mann und Frau, sondern mehr noch mit dem Phänomen drohender Bedeutungslosigkeit. So gab es laut der Statistik des Zentralverbands des deutschen Handwerks im Jahr 2011 bundesweit nur noch 339 Modistinnen und Modisten, die in gerade einmal 249 Handwerksbetrieben Kopfbedeckungen fertigten. Im Land waren es 31 in zwölf Betrieben. Und diese Zahlen sind weiter rückläufig.
Dagegen stehen Daten der Gemeinschaft Deutscher Hutfachgeschäfte (GDH). Die schätzt ganz vorsichtig, dass jährlich etwa 20 Millionen Kopfbedeckungen – dazu zählen außer Hüten auch Mützen und Käppis – über die Ladentische der Warenhäuser und Fachgeschäfte gehen. Produziert werden diese auch noch in Deutschland von Herstellern wie Gebeana in Wuppertal oder Bullani in Bamberg. Im Schnitt geben die Kunden des Fachhandels für Kopfbedeckungen etwa 56 Euro aus, bilanziert die GDH für das vergangene Jahr. Hüte und Mützen als modische Accessoires lägen also durchaus im Trend, meint man dort. Was die Modistin aus March nicht wundert.
Gibt es doch viele gute Gründe für einen Hut. Besonders: „Tragen Sie einen Hut, gehen Sie aufrechter durchs Leben.“ Hüte stünden für ein besonderes Lebensgefühl, gleichwohl auch für jenen Mut, der nötig sei, um einen zu tragen. Und uneingeschränkt gelte auch: „Hüte passen jeder und jedem“, ist Antje Heitzler überzeugt. Ihre vorwiegend weiblichen Kunden kommen aus allen Schichten.
„Die Szene ist klein, man kennt sich.“
Es seien einfache Frauen ebenso darunter wie betuchtere Damen aus besseren Stadtteilen Freiburgs. Sie alle verbindet die Freude an einem individuellen, handgemachten Hut für jeden Tag oder für den speziellen Anlass, der dann schon einmal ein- oder mehrere hundert Euro kosten darf. „Besonders herausfordernd sind Hutkreationen, die zu einem bereits vorhandenen Kleid oder einem anderen Outfit gewünscht werden“, erklärt sie. Inspirieren lässt sich die Modistin dabei von der Natur und den Jahreszeiten, aber auch von alltäglichen Dingen, die ihr ins Auge fallen.
Ihre Kundinnen und Kunden erreicht sie über Messen, etwa auf US-Car-, Rock’n’Roll-, Vintage- oder Tattoo-Conventions, die sie gemeinsam mit ihrer Tochter Alisha besucht. „Kopfputz gehört bei solchen Veranstaltungen einfach dazu.“ Besonders nachgefragt seien dabei „Fascinator“ und „Headpieces“, die sie in einem Bauchladen auf solchen Messen anbietet. Ihr Hauptmarktplatz ist jedoch das Internet. Unter dem Label „Antia“ verkauft sie dort ihre Kreationen, die Tochter Alisha oder bekannte Vintage-Models wie Ava Elderwood, Idda van Munster und Rina Bambina auf Fotos präsentieren. „Die Szene ist klein, man kennt sich.“ Tatsächlich finden sich auf der Liste der Modisten-Innung Baden-Württemberg nur zehn Mitgliedsbetriebe.
Beim Modisten der Queen
Auch das Freiburger Hutgeschäft „Ilona“, in dem Antje Heitzler in den 1980ern noch ihre Ausbildung zur Modistin absolvierte, ist längst Geschichte. Zu ihrer eigenen gehört, dass sie damals zu den Bundesbesten ihrer Zunft zählte, was sie in gewisserweise „adelte“ und schließlich nach London zum Modisten der Queen, Frederik Fox, brachte. „Lady Diana, Sarah Ferguson, die ganze königliche Familie wurden da behütet.“ Unvergesslich. Nach zwei Jahren ging sie zurück nach Deutschland, nach München: „Hut Breiter“ und die Bayerische Staatsoper waren dort die Adressen.
Schließlich absolvierte Antje Heitzler in der bayerischen Landeshauptstadt ihre Prüfung zur Modisten-Meisterin. München beherbergt mit der Deutschen Meisterschule für Mode die letzte verbliebene Ausbildungsstätte für den Modisten-Meister. Dagegen schloss das Berufsbildungszentrum Kellinghusen in Schleswig-Holstein vor Jahren seine Tore für diesen Beruf gänzlich.
In diese Lücke sprang das Oberstufenzentrum für Bekleidung und Mode in Berlin, das die Modisten-Azubis des Nordens und des Ostens der Republik sammelt und in maximal drei Jahren ausbildet. „Wir haben echt pfiffige Mädels darunter!“, freut sich die zuständige Leiterin der Abteilung, Martina Schindel. Düster sieht es dagegen für den Modistenberuf in Baden-Württemberg aus. An der einzigen Berufsschule für Modisten im Land, der Kerschensteinerschule in Stuttgart, gibt es nur auf dem Papier noch drei Auszubildende. „Wir wissen nicht, ob wir diesen Beruf weiterhin ausbilden können“, meint die für den Bereich zuständige Ursula Seltmann, und appelliert an die Betriebe in Baden-Württemberg, wieder verstärkt auszubilden. Ein Wunsch, dem sich Antje Heitzler anschließt – verbunden mit der Hoffnung, dass sich die Menschen wieder verstärkt handgemachte Hüte aufsetzen. Dann, so die Modistin, sei es ihr um das Handwerk nicht bange.
Der Bericht in der Badischen Zeitung Online